WIR BRAUCHEN BASS – Folge 6 oder WIRKLICH WICHTIGE STELLEN

25. Mai 2018

Ach, wir Kontrabassist*innen, wir haben es schon fein. Während man mit dem Geige spielen besser schon als vierjähriges Kind anfängt, gilt unser Instrument als klassisches Zweitinstrument. Den Edelbassist*innenstatus hat uns trotzdem noch nie wer abgesprochen. Auch ich war jahrelang eine Flöte, bis ein tiefer Drang mich zum Kontrabass lockte. Dabei bin ich geblieben. Die Proben sind entspannt, man muss nicht wie verrückt üben und trotzdem hört jeder, wenn man mal fehlt. Denn „der Kontrabass ist im Ensemble wie ein Tortenboden für den Kuchen – hält der nicht, verläuft die ganze Verzierung, die er trägt.“

Die generelle Entspanntheit unseres Notentextes überträgt sich auf die Spielenden. Wir sind zunächst einmal völlig unprätentiös und nehmen uns nicht so wichtig – vgl. hierzu zwei Verse der Strophe „Geige“ aus dem „Orchesterlied“ eines scharfen Beobachters: „Im Orchester spiele ich die Melodie. / Das ist das Wichtigste, das denken nicht nur Sie.“ So etwas beim Kontrabass – undenkbar. Weiterhin sind wir gesellig, umgänglich, kompromiss- und hilfsbereit, wir sehen es nicht so eng mit dem Notentext, sondern fokussieren uns auf die wirklich wichtigen Sachen – vgl. hierzu („unsere“ Strophe des „Orchesterlieds“: Höher, schneller, lauter, das ist Arroganz. / Wirklich wichtig ist doch nur die Resonanz.“) Und falls Sie jetzt denken, dass sowas ja nur ein ironisches Orchesterlied oder die Trulla vom letzten Pult behaupten können, dann mag ich Sie gerne vom Gegenteil überzeugen. Denn wir hatten Stimmprobe. Nachdem andere Instrumentengruppen sich schon mehrere Male zu Intensiv-Proben getroffen haben, war es bei uns – drei Wochen vor dem Konzert – jetzt auch soweit. Unser Dozent Felix, seines Zeichens Kontrabassist bei der NDR Radiophilharmonie, kommt top vorbereitet („Nee, Mahler 3 hab ich noch nie gespielt, aber geiles Stück!“ – „Beim Anhören habe ich ein paar Sätze übersprungen, ich dachte wir machen heute die wirklich wichtigen Stellen.“) Zwei Sätze und ich weiß: Der Mann ist weise und klug. Wir spielen also zum Beispiel diese Stelle: Ein Marschrhythmus mit punktierten Achteln, Pausen und Sechzehntelnoten im ppp, ein Abschluss mit Triller und einem Nachschlag und schwupps, sind wir wieder in der Tonika. Felix‘ Kommentar dazu: „Passt auf, dass der Rhythmus nicht unter diesen Extra-Gadgets leidet. Lasst den Nachschlag weg, verkürzt den Triller, der Abschlusston muss sitzen.“ Wir machen uns bei jeder Stelle, und sei sie noch so verrückt, klar, welche Aktion wirklich wichtig ist und was Mahler damit aussagen wollte. Tatsächlich ist es, wie ich bereits vergangene Woche mutmaßte, oft der Effekt: Mehrere Takte Sechzehntelläufe – vergiss die Töne, der Akzent auf Zählzeit 2 macht die Stelle interessant. Ein unspielbarer Bogen – das Murmeln ist, was zählt. Aber warum schreibt Mahler denn nicht einfach so, dass man es easy spielen kann? Auch dazu hat Felix den passenden Kommentar: „Der Kontrabass ist ein musikhistorisches Missverständnis.“ Wir wissen noch nicht einmal, welche Bässe Mahler in der Städtischen Kapelle Krefeld und dem Gürzenich-Orchester Köln vorgefunden hat, als er mit diesen beiden Orchestern seine 3. Sinfonie 1902 zur ersten vollständigen Uraufführung brachte. Es ist alles Interpretation – und wir sind die Interpreten seiner Musik. Welch‘ erhebendes Gefühl – und das trotz der tiefen Töne!

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